Bericht zur Fachveranstaltung „10 Jahre „Antidiskriminierungs“-gesetzgebung in Deutschland – und wie sieht es wirklich aus?“ vom 01.12.2016 in Lübeck

Der Antidiskriminierungsverband Schleswig-Holstein (advsh) e. V. hatte am 1. Dezember 2016 in die Lübecker media docks geladen, um angesichts des zehnten Jahrestages des Inkrafttretens des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) das deutsche Antidiskriminierungsrecht einer kritischen Bestandsaufnahme zu unterziehen. Hierzu waren mit Vera Egenberger, Geschäftsführerin des Büros zur Umsetzung von Gleichbehandlung e. V. in Berlin und Prof.in i.R. der Rechtswissenschaft Dr. Sibylle Raasch aus Hamburg sowie Halil Can, Politikwissenschaftler und Empowerment-Trainer aus Berlin, drei hochkarätige Referent*innen dem Ruf des Veranstalters gefolgt.

In den Vorträgen und der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde deutlich, dass die Antidiskriminierungsgesetzgebung und -kultur in Deutschland erst am Anfang stehen.

So berichtete Frau Egenberger, dass in anderen Mitgliedsstaaten der EU die europäischen Richtlinien zum Diskriminierungsschutz weitaus umfassender umgesetzt wurden, als dies in Deutschland mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im Jahre 2006 geschehen ist. So ist beispielsweise in Großbritannien jedes Unternehmen dazu verpflichtet, im regelmäßigen Turnus Zielvorgaben zur Antidiskriminierung umzusetzen. „Es gibt Quoten für die Einstellung von Menschen mit Migrationshintergrund, die problemlos auf Deutschland übertragen werden könnten“, schlägt Frau Egenberger mit Blick auf die guten Erfahrungen in Großbritannien vor.

Frau Prof. Dr. Raasch ging in ihrem Vortrag auf die Schwierigkeiten ein, auf Grundlage der bestehenden Gesetze die bestehenden Rechte für von Diskriminierung betroffene Menschen erfolgreich vor Gericht durchzusetzen. Die Klagefristen im AGG seien viel zu kurz und die vorgesehenen Entschädigungsansprüche so geringfügig, dass deren Geltendmachung kaum die Belastungen und Unwägbarkeiten eines durch die von Diskriminierung Betroffenen individuell durchzufechtenden Gerichtsverfahrens aufwiege.

Das Nichtvorhandensein eines Verbandsklagerechts führt dazu, dass gegen Diskriminierungen nur sehr selten geklagt wird“, bedauerte die Expertin des Beirats der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Ein Verbandsklagerecht würde Antidiskriminierungsverbänden ermöglichen, gegen Diskriminierungen zu klagen. Aktuell müssen die Betroffenen persönlich klagen, „doch wissen sie zumeist von ihrer Möglichkeit der Klage nichts und ihnen mangelt es an Ressourcen, um den langen und teuren Klageweg zu beschreiten“, führte Prof. Raasch weiter aus.

Die Weitergabe von Wissen und das Teilen von „Machtressourcen“, das sogenannte „Power-Sharing“, und das Empowerment, die Selbstermächtigung von Diskriminierung betroffener Menschen, standen im Mittelpunkt der Ausführungen des Politikwissenschaftlers und Empowerment-Trainers Halil Can. Er führte aus, dass unabhängig von der Gesetzgebung und der Umsetzung rechtlicher Vorgaben auf juristischem Wege eine echte Antidiskriminierungskultur gelebt werden müsse, „dies ist Aufgabe der Zivilgesellschaft und geht alle etwas an“, so Can.

Insgesamt waren sich die Referent*innen darin einig, dass es dringend an der Zeit ist, das nunmehr seit 10 Jahren bestehende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) einer Revision zu unterziehen und zur Erreichung effektiveren Rechtsschutzes in wesentlichen Fragen nachzubessern. In seinem abschließenden Statement merkte Stefan Wickmann vom Veranstalter advsh an, dass aus Sicht des Antidiskriminierungsverbandes Schleswig-Holstein e. V. insbesondere die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen zur Gewährleistung effektiver Beratungs- und Unterstützungsstrukturen für von Diskriminierung Betroffene eine zentrale Forderung an den Gesetzgeber darstelle, wozu insbesondere die Einführung eines Verbandsklagerechts einen längst überfälligen wesentlichen Baustein beisteuern würde. Nicht zuletzt im Hinblick auf die anstehenden Bundes- und Landtagswahlen im kommenden Jahr eröffne sich für die Schleswig-Holsteinische Landespolitik die Chance, durch entsprechende Bundesratsinitiativen oder sogar die Schaffung eines eigenen Landesantidiskriminierungsgesetzes bundesweit eine Vorreiterrolle in der Antidiskriminierungsgesetzgebung einzunehmen.

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